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Die Rolle von Klimaaktivismus in der Mobilitätsbranche

Ich bin Jana Krüger und studiere Verkehrssystemmanagement (VSM) im 5. Semester an der Hochschule Karlsruhe. Dieses Semester ist bei uns ein Praxissemester, in dem ich seit September hier bei Mobycon arbeite. In Karlsruhe bin ich seit fast zwei Jahren bei Fridays for Future aktiv.

 

Im Juni habe ich an meiner Hochschule einen Vortrag zu Ohne Kerosin nach Berlin (OKNB) gehalten. Bei OKNB sind wir 2021 mit etwa 40 Leuten innerhalb von 20 Tagen über 1000 km mit dem Fahrrad von Karlsruhe nach Berlin gefahren. Nach dem Vortrag hat mich ein Professor gefragt, wie sich der Aktivismus meiner Meinung nach mit dem Studium oder auch mit meinem Beruf später vereinen lässt und ob es dort Interessenskonflikte gäbe. Ich war im ersten Moment etwas perplex. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet und man kann sie auf mehreren Ebenen verstehen.

Auf der Fahrradprotesttour von Karlsruhe nach Berlin © OKNB

 

Die zeitliche Dimension

Eine Frage, die ich mir während meines Studiums schon öfter gestellt habe, ist, wie ich es zeitlich schaffe neben meinem Studium meine „ehrenamtliche“ Arbeit bei Fridays For Future unterzubringen. Wann treffe ich mich mit den anderen Aktivist*innen, um den nächsten Streik zu planen, kann ich auf ein Panel gehen, obwohl gerade eine Gruppenarbeit in der Uni ansteht? Durch das Studium habe ich aber viele Freiheiten, die andere „Berufsgruppen“ nicht haben. Ich muss meist nicht bei Vorlesungen anwesend sein, wie es von Schüler*innen im Unterricht erwartet wird. Und ich muss auch nicht außerhalb meines Praxissemesters zu einer bestimmten Zeit 8 Stunden am Tag arbeiten. Ich habe die Freiheit zu entscheiden, wie viel Zeit ich wann in den Aktivismus stecken möchte.

Diese zeitliche Dimension meinte mein Professor aber nicht.

 

Als Aktivistin im VSM-Studiengang oder als VSM-Studentin im Aktivismus?

Im zweiten Semester ging es in „Verkehr und Umwelt“ um den Nachhaltigkeitsbegriff. Ich wurde gefragt, ob wir uns weiterhin mit Definitionen von Nachhaltigkeit auseinandersetzen sollten, um sie für jeden Bereich treffend formuliert zu haben. Damals war meine Antwort „Ja“. Heute beantworte ich die Frage mit „Nein“.

Für manche ist es nachhaltig, keinen Plastikstrohhalm zu nutzen. Für andere bedeutet Nachhaltigkeit, sich vegan und regional zu ernähren. Für wieder andere heißt Nachhaltigkeit, mit einem Elektroauto durch die Stadt zu fahren. All diese Dinge sind aber keine Definition von Nachhaltigkeit, sie sind Maßnahmen. Der Brundtland-Bericht definiert Nachhaltigkeit so:

„Nachhaltig ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“

Im Vordergrund der Klimakrise stehen häufig die CO2-Emissionen. Und so heißt die Frage, wenn es um Nachhaltigkeit geht, oft: Wie erreichen wir die größtmöglichen CO2-Einsparungen?

Der Verkehrssektor ist unter den Top 3 der Sektoren, die das meiste CO2 ausstoßen. Gleichzeitig wurden in diesem Sektor in den letzten Jahren am wenigsten Treibhausgasemissionen reduziert (UBA). Die größtmögliche Reduktion der Treibhausgase oder die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels wird nicht nur mit Pull-Maßnahmen (Maßnahmen, die Menschen z.B. zur aktiven Mobilität „hinziehen“) erreicht werden, sondern auch durch die weniger angewendeten Push-Maßnahmen (Maßnahmen, um Menschen vom motorisierten Individualverkehr (MIV) wegzubewegen, zum Beispiel durch die Reduzierung einer oder mehrerer Fahrbahnen). Diese Push-Maßnahmen erzielen eine viel schnellere und höhere CO2-Minderung im Verkehr (E Klima).  Nachhaltigkeit bedeutet aber nicht nur die Einsparung von CO2. In Bezug auf Mobilität geht es darum, die Städte wieder lebenswerter zu machen. Darum heißt die Frage hier eher: Wie machen wir die Welt weniger abhängig vom Auto?

Diese ganze Thematik wird uns im Studium vermittelt und auch Mobilitätsberatungsunternehmen wie Mobycon wissen darüber Bescheid. Der letzte Schritt, die Umsetzung, macht es schwierig. Mobycon bietet Beratung, Planung und Inspiration für nachhaltige Mobilität, das schließt auch das in Betracht ziehen von Push-Maßnahmen mit ein. Wird versucht diese „rigorosen“ Maßnahmen anzuwenden, stößt man als Beratungsunternehmen oft auf Widerstand. Denn auch dort braucht man die Rückendeckung der Politiker*innen.

Hier kommt der Aktivismus ins Spiel. Wir üben als Fridays For Future Bewegung von außen Druck aus, um alle daran zu erinnern, was sie eigentlich schon lange wissen: Wir brauchen Klimamaßnahmen, jetzt!

Malaktion von Fridays For Future Karlsruhe im Schlosspark um auf den Globalen Klimastreik aufmerksam zu machen © FFF Karlsruhe

Denn als VSM-Studentin im Aktivismus nehme ich das, was ich im Studium und auch hier im Praktikum bei Mobycon lerne, mit. Ich bringe das Wissen mit in Forderungen, in Aktionen oder in Reden ein.

Eine weitere Möglichkeit, mein Wissen einzubringen, habe ich bisher unterschätzt: Radentscheide. Diese Bürger*innenbegehren werden genutzt, um Städte lebenswert zu machen. Häufig umfasst der Entscheid die aktive Mobilität, also neben dem Radverkehr auch den Fußverkehr. Es wird ein Maßnahmenkatalog erstellt, für den im Folgenden Unterschriften gesammelt werden. Wird eine bestimmte Zahl an Unterschriften erreicht, muss sich der Gemeinderat mit dem Bürger*innenbegehren befassen. Entweder übernimmt er das Bürger*innenbegehren und beschließt es unverändert oder er lässt in einem Bürger*innenentscheid alle Wahlberechtigten darüber abstimmen.

Viele Städte wählen die erste Möglichkeit und beschließen die Maßnahmen nach einer eventuellen Aushandlungsphase, in der die Maßnahmen rechtmäßig formuliert und konkretisiert werden. Diese Maßnahmen landen anschließend häufig in den Ausschreibungen von Städten, sodass die Beratungsunternehmen wie Mobycon die Städte dazu beraten, ihnen Inspiration zur Umsetzung bieten und die Umsetzung der Maßnahmen letztendlich planen und durchführen. Gestartet durch den Aktivismus landen die Maßnahmen des Radentscheids also letztendlich in den Beratungsunternehmen. Diese Radentscheide sind somit ein sehr machtvolles Instrument des Aktivismus.

 

Vereinbarkeit von Inhalten im Studium mit dem Aktivismus

Obwohl der Studiengang VSM an der Hochschule Karlsruhe einen sehr starken Fokus auf die nachhaltige Mobilität legt, gibt es dennoch viele Module, in denen es sich hauptsächlich um den MIV dreht. Ich, und auch viele andere haben das Studium primär aus Interesse an der nachhaltigen Mobilität gewählt statt aus Interesse am MIV.

Ein Professor hatte dazu argumentiert, dass man trotzdem auch wissen müsse, wie der MIV funktioniere, um ihn zu reduzieren. Dieses Argument unterstütze ich. Es ist auch im Aktivismus hilfreich zu wissen, wie das System MIV funktioniert und wie das auf den MIV konzentrierte Verkehrssystem verändert werden könnte. Ein für mich sehr wichtiges Argument, welches ich auch schon auf einem Panel als FFF-Aktivistin angeführt habe, ist der Fakt, dass diejenigen, die den MIV nicht nutzen (können) trotzdem unter seinen negativen Auswirkungen leiden. Das heißt, Menschen, die sich kein Auto leisten können oder wollen, bezahlen trotzdem die im Vergleich sehr teure MIV Infrastruktur mit und leiden unter den Emissionen des MIV. Hier zeigt sich wieder, dass der MIV nicht nur negative Auswirkungen in Form von CO2-Emissionen mit sich bringt, sondern auch einen großen negativen sozialen Einfluss hat.

Trotzdem sind einige Vorlesungen (und Regelwerke) weniger auf den Wandel konzentriert als darauf, die bestehende Situation weiterzuführen. In diesen Vorlesungen ist es für mich schwer, mein Interesse aufrechtzuerhalten und nicht stattdessen lieber den nächsten Streik zu planen, um damit zu erreichen, dass das Auto in Zukunft nicht mehr die Norm ist.

 

Fazit: Wir wollen das gleiche!

Beratungsunternehmen, die sich auf den Umweltverbund konzentrieren und Klimaaktivist*innen wollen das gleiche: Endlich eine möglichst große Reduzierung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor und einen stärkeren Fokus auf die Menschen statt auf die Autos. Es sind meist zwei unterschiedliche Herangehensweisen und es braucht sie beide: den Aktivismus in der Mobilitätsbranche und das Wissen der Mobilitätsbranche im Aktivismus. Der Aktivismus ist der Druck von außen, der die Politik daran erinnert: „Die Klimakrise ist da, es braucht Veränderungen und zwar schnell!“. Aber auch die Beratungsunternehmen können innerhalb ihrer Möglichkeiten Varianten aufzeigen, die über die Erwartungen der Städte hinausgehen.

 

Parking Day Karlsruhe 2021 © Jana Krüger

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