menu
menu

Autoarme Städte / MehrPlatzFürsRad / Transportalternativen

Autoarme Städte: Was steht wirklich auf dem Spiel?

In vielen Städten auf der ganzen Welt gibt es einen wachsenden Trend, der sich auf eine einfache Idee konzentriert: Um sicherere und komfortablere Städte zu schaffen, müssen sie autoarm werden. Zu Beginn des Lockdowns wurden viele Straßen mit Barrieren blockiert, um einen physisch abgetrennten Raum zu schaffen, in dem man die freie Natur genießen kann. Aber schon vorher haben unzählige Stadtzentren diese Ideen erforscht. Städte wie Gent in Belgien schufen gänzlich autofreie Zentren – sogar das historisch sehr vom Autoverkehr abhängige Auckland in Neuseeland hat den Zeitplan für seine geplanten autofreien Straßen im zentralen Geschäftsviertel beschleunigt. Dies sind alles sehr vielversprechende Schritte nach vorn. Aber wie wir in den letzten Wochen in Großbritannien gesehen haben, passieren diese progressiven Schritte nicht einfach ohne Widerstand oder sogar Gegenaktionen. Aber abgesehen von einem Mangel an sichereren Straßen, was steht wirklich auf dem Spiel, wenn wir im auto-dominanten Status quo stecken bleiben?

Mehr Lebensqualität: Ein wirkliches Ziel oder nur eine nette Idee?

Ein Großteil des 21. Jahrhunderts wurde damit verbracht, für mehr Lebensqualität in unseren Städten zu werben: Wie können wir städtische Räume verändern oder anpassen, um die Lebensqualität für alle Bürger*Innen zu verbessern? Das Problem ist, dass vielerorts trotz des Altruismus, der hinter diesen guten Absichten steht, selten echte und greifbare Unterschiede realisiert werden. Besonders dann, wenn sie auf Kosten von persönlicher Bequemlichkeit gehen – namentlich der Möglichkeit, überall hin schnell und bequem mit dem Auto fahren zu können. Wenn man über die eklatante Tatsache hinwegsieht, dass diese Strategie große Teile der Menschen übersieht – soweit ich weiß, erlauben wir unseren Kindern noch immer nicht das Autofahren – und auch, dass viele politische Maßnahmen an den Bedürfnissen von Frauen, people of colour, körperlich oder geistig behinderten und älteren Menschen vorbei gehen, so hat das Ermöglichen von weitverbreiteter Autonutzung in den letzten Jahrzehnten eher einen negativen Effekt auf die Lebensqualität in unseren Städten gehabt.

Anfang 2020 begann ich meinen Forschungsprozess für mein zweites Buch, in dem ich die Auswirkungen der vom Auto dominierten Städte auf den Menschen untersuchte. Nach dem Umzug meiner Familie in die Niederlande erlebten wir alle erhebliche Veränderungen in der Art und Weise, wie sich unsere Interaktion mit der uns umgebenden Stadt veränderte – und wie anders sie uns prägte. Als ich mich eingehender mit Studien über psychische Gesundheit und soziale Konnektivität befasste und mit unzähligen Akademiker*Innen und Expert*Innen auf diesem Gebiet sprach, kam alles zusammen. Jahrzehntelange Automobilität hat nicht nur schädliche Auswirkungen auf die Umwelt, die Luftqualität und die Verkehrssicherheit; sie wirkt sich auch stark auf menschlicher Ebene auf uns aus. Wenn wir Gemeinden wirklich lebenswerter machen wollen, dann müssen wir aufhören, auf Autos zu setzen – und anfangen, den Menschen Vorrang einzuräumen.

Kein Verbot von Autos – Ein Fest den Menschen!

Pessimisten werden die autoarme Stadt als eine weitere Strategie im “Krieg gegen das Auto” sehen. Die Verfechter lebhafterer, menschenzentrierter Räume müssen diese Rhetorik aber ignorieren und entgegensetzen: Es geht nicht darum, Autos zu verbieten, sondern darum, die Menschen zu feiern! Obwohl auch hier noch einiges zu tun ist, finden viele Befürworter Inspiration auf den niederländischen Straßen: Wo sich die Menschen viel zu Fuß und mit dem Fahrrad bewegen, sich an autofreien historischen Zentren erfreuen und generell mit ihren Mitbürger*Innen auf sozial vernetzte Weise interagieren. Durch meine Forschung wurde eines immer deutlicher: Wenn Städte den menschlichen Räumen Vorrang einräumen – wie dies oft in den Niederlanden geschieht – hat das einen Dominoeffekt bei der Reduzierung von Ängsten und Stress, welche oft durch hohes Verkehrsaufkommen und Lärm verursacht werden.

Während des Lockdowns feierten viele von uns, dass wir die Vögel endlich wieder singen hörten. Das mag etwas lustig anmuten – aber es ist wichtig, alle Punkte zu verbinden, mit denen sich die Anzahl der Autos in unseren Städten seit Jahren negativ auf uns auswirkt. Und das auch noch oft, ohne dass wir uns dessen überhaupt bewusst sind. Also sollte unsere nächste Frage lauten: Wie machen wir diese Momente zur Norm und nicht zur Ausnahme? Im Kern geht es darum, die Menschen in der Stadt in den Vordergrund zu stellen und über das Auto als Standard hinauszugehen.

Eine autoarme Zukunft ist möglich

Trotz mancher Rückschritte in einigen Städten bleibe ich hoffnungsvoll, dass autoarme Projekte in den Städten nicht nur eine Modeerscheinung, sondern ein dauerhafter Trend sind. Es sind nicht mehr nur Befürworter*Innen oder fortschrittlichere Planer*Innen, die diese Veränderungen fordern. Menschen aus Politik, Universitäten, Journalismus, der medizinischen Gemeinschaft und, was am vielversprechendsten ist, der nächsten Generation fordern Veränderungen. Es wird unmöglich sein, das Auto in unseren Städten vollständig abzuschaffen, und es wird auch weiterhin eine Rolle spielen. Aber eine lebendige und gesunde Zukunft ist eine Zukunft, in der Autos eine Hintergrundrolle spielen, das Extra in der Theaterbesetzung unserer Städte: Dort, wo es nötig ist, aber sonst unsichtbar. Um Raum zu schaffen, damit wir uns gegenseitig wieder sehen können.

Jetzt, wo viele von uns wieder in Lockdown-Situationen geraten und das Wetter auf der Nordhalbkugel kälter wird, erinnern wir uns wieder wie es sich vor sechs Monaten anfühlte, in unseren Städten zu Fuß zu gehen oder Rad zu fahren: Als die Autos von unseren Straßen verschwanden. Der Abbau von Stress, der sonst durch Verkehrsstaus und Lärm verursacht wurde; die zunehmende soziale Vernetzung, da wir immer mehr unserer Nachbarn sahen; und nicht zu vergessen natürlich die Freude, als viele von uns Erwachsenen wieder Kindern beim freien Spiel auf der Straße zuschauen konnten. Wir können unsere Städte verändern, und das sogar schnell – wir brauchen nur den Willen. Es wurde zwar schon oft gesagt, hat aber nichts an seiner Dringlichkeit verloren: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Melissa Bruntlett

‚Ich glaube, man muss eine großartige Geschichte erzählen, um Städte für alle zu schaffen. Multimodale Verkehrsmittel für ein Mainstream-Publikum zu fördern bedeutet, die Geschichten der Menschen zu erzählen, die von verbesserter Fußgänger- und Radfahrerfreundlichkeit profitieren. Zu zeigen, was möglich ist, wenn wir die Gestaltung unserer Straßen und öffentlichen Räume überdenken. Ich versuche Menschen zum Gestalten von Orten zu inspirieren, an denen unsere Kinder gedeihen können und der Weg durch die Stadt sicher, einfach und schön ist.‘

Beraterin für Mobilitätsmarketing und internationale Kommunikation
m.bruntlett@mobycon.com

Ähnliches